Seit der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert wird Tabak professionell produziert, vermarktet und verkauft. Derzeit teilen sich den Weltmarkt fünf große und einige kleinere Konzerne. Über 100 Jahre lang war das Hauptprodukt die Zigarette. Sie ist noch immer das mit Abstand am häufigsten konsumierte Nikotinprodukt der Welt. Aber seit Ende der 2010er Jahre setzt die Tabakindustrie zusätzlich stark auf E-Zigaretten, Tabakerhitzer und andere neuartige Tabak- und Nikotinprodukte.
Rauchen ist zusehends weniger modern und weniger normal
Tabak ist ein enorm schädliches legales Produkt. Daher begannen Gesetzgeber weltweit mit Regulierungen. Die Tabakindustrie kam dadurch in Bedrängnis. Es ist nicht mehr modern, zu rauchen. Es ist nicht mehr gesellschaftsfähig, zu rauchen. Es ist immer weniger normal, zu rauchen. All das verschlechterte auch das Image des verkauften Produkts enorm.
Ausgehend von der im Jahr 2004 erstmals von einem Start-up-Unternehmen patentierten E-Zigarette hat sich das Spektrum neuer Produkte enorm erweitert. Auch die Tabakindustrie setzt nun auf neue Produkte und hat E-Zigarette, Tabakerhitzer, Tabakbeutel und weitere Produkte als Marktchance erkannt.
Auffällig ist dabei die Sprachwahl: Sprachlich werden die neuen Tabak- und Nikotinprodukte stark vom Rauchen abgegrenzt. Es kann der Eindruck entstehen, sie hätten nichts mit dem Rauchen und der klassischen Tabakzigarette zu tun. Die Tabakindustrie nennt das Rauchen von E-Zigaretten „Dampfen“, den Passivrauch von E-Zigaretten „Aerosol“, den Konsum ihrer neuen Nikotinprodukte „Rauchfreiheit“, den Umstieg von Tabakzigarette auf E-Zigarette „Entwöhnung“ und die neuen Produkte insgesamt einen Beitrag zu „Public Health“. Diese Wortwahl zeugt von großer Abgrenzung gegenüber Tabak, Rauchen und Sucht. Sie setzt damit auf ein neues, nun positives Image.
Von ihrem Geschäftsmodell her hat die Tabakindustrie ein originäres Interesse daran, Nikotinprodukte zu verkaufen. Maßnahmen der Tabakkontrolle wie Rauchverbote, Erhöhung der Steuer oder Werbeverbote sind dafür hinderlich. Denn sie verringern mittelfristig und in effektiver Umsetzung den Konsum. Daher wird häufig versucht, sie zu verhindern, abzuschwächen oder ihr Inkrafttreten zumindest zu verzögern.
Vom Anzweifeln der Wissenschaft bis zu Gerichtsprozessen
Die American Cancer Society nennt sieben weltweite und langjährige Strategien der Tabakindustrie: Untergraben von Wissenschaft, Manipulation von Medien, Öffentlichkeitsarbeit, Verwendung der politischen Agenda für eigene Zwecke, Illusion der Unterstützung von Entscheidungsträger*innen, Lobbying im Prozess der Gesetzgebung, nach Möglichkeit Umgehung von Regelungen und Klagen. Die Organisation Tobacco Tactics listet weltweite Beispiele für diese legalen Strategien auf und analysiert die Argumente der Tabakindustrie. Vor allem das Verklagen von Staaten erhielt viel Aufmerksamkeit und führte zu beispiellosen Prozessen.
Anlässlich des Weltnichtrauchertags 2020 thematisierte die WHO, dass die Tabakindustrie Kinder und junge Menschen zu künftigen Kund*innen machen will.
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