Die Sprache der Nikotinindustrie

Die Nikotinindustrie gibt ihren neuen Produkten den Rahmen, relativ harmlos zu sein. Das macht sie auch mittels Sprache. E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Nikotinbeutel werden mit Begriffen vermarktet, bei denen nichts mehr ans Rauchen erinnern soll.

Von wirtschaftlichen Interessen gesteuertes Framing

Die Menschen rauchen immer weniger Zigaretten. Der Konsum konventioneller Tabakprodukte ist leicht rückläufig. In der Folge hat die Nikotinindustrie neue Märkte erschlossen und führt nun eine Reihe verschiedener Nikotinprodukte in ihrem Portfolio, etwa E-Zigaretten, Tabakerhitzer und Nikotinbeutel.

Diese neuen Produkte vermarktet die Nikotinindustrie als relativ harmlos. Dabei setzt sie auch Sprache gezielt ein, wie ein Fachartikel aufzeigt. Durch Sprache schafft sie Bewusstsein und versucht, ihre neuen Produkte in ein positives Licht zu rücken und gar in Richtung Medikation zu vermarkten.

Worte schaffen Wirklichkeit. Sie beeinflussen, was Menschen denken und wie Dinge gesehen werden. Das weiß auch die sehr marketing-affine Nikotinindustrie. Sie gibt ihren neuen Produkten das Framing („Rahmung“) der relativen Harmlosigkeit.

„Risikoreduziert“: Immer die Zigarette als Norm

Auffallend ist in der Sprache der Nikotinindustrie der ständige Bezug zur konventionellen Zigarette: Alle anderen Nikotinprodukte werden reflexartig mit ihr verglichen und derart als „weniger schädlich“, „risikoreduziert“ und „harm reduction“ vermarktet. Der standardmäßige Bezug zum Rauchen konventioneller Zigaretten ermöglicht der Nikotinindustrie im Marketing, alles außer Zigaretten als relativ harmlos darzustellen – als das Bessere, das Anzustrebende.

Dieses Framing setzt den Nikotinkonsum als Norm. Es wirkt, als gäbe es nur den Konsum. Wer nicht Zigarette raucht, soll E-Zigarette oder Tabakerhitzer rauchen – oder Nikotinbeutel konsumieren. Ein nikotinfreies Leben ist nicht Teil dieser Erzählung. Propagiert wird der Wechsel vom einen zum anderen Nikotinprodukt, der Kunde soll schließlich Kunde bleiben. Dabei soll er obendrein das Gefühl haben, etwas für seine Gesundheit zu tun und mit dem schädlichen Rauchen nichts mehr am Hut zu haben.

Vapes, Heets und Pouches

Auch die Produkte selbst benennt die Nikotinindustrie mit Begriffen, an denen nichts mehr ans Rauchen, an Zigaretten, an Sucht und an Schädlichkeit erinnert. So vermarktet sie E-Zigaretten als „Vapes“ und Tabakerhitzer als „Heets“. Beide Begriffe sind ans Englische angelehnt, „Vape“ heißt „Dampf“, Heets“ ist eine Abwandlung von „Hitze“. Dampf und Hitze jedoch sind für sich genommen unverfängliche Begriffe, die mit Sucht und Schädlichkeit nichts zu tun haben.

Ähnlich verhält es sich mit dem Wort „Pouches“ für Nikotinbeutel: Es wirkt unverfänglich, trendig und – am wichtigsten – als handle es sich um ein neutrales Produkt. Nikotinbeutel jedoch sind Suchtmittel wie E-Zigaretten und Tabakerhitzer, daran ändert auch die schöne Marketing-Sprache nichts.

Die zugehörigen Handlungen versieht die Nikotinindustrie im Marketing mit den neu kreierten Verben „vapen“ („dampfen“) und „heeten“. Damit vermeidet sie, dass der Konsum dieser erhitzten inhalierten Nikotinprodukte als „rauchen“ bezeichnet wird. Nichts erinnert bei diesen schönen Worten mehr an das als schädlich bekannte Rauchen. Auch „snusen“ als Zeitwort für den Konsum von Nikotinbeuteln vermeidet die Erinnerung an Nikotin und damit an Sucht.

Alternative Produkte

Dass Kund*innen Kund*innen bleiben sollen, unterstreichen die Marketing-Begriffe „Alternative Produkte“ und „Ersatzprodukte“: Alternativen bedeuten mehr Möglichkeiten und damit die Freiheit der eigenen Wahl. Der Begriff „Alternative Produkte“ bedient diesen erstrebenswerten Zustand. Auch er trägt dazu bei, den Nikotinkonsum als Norm weiter zu stützen. Abstinenz gerät damit in den Hintergrund. Das konventionelle Rauchen soll demnach durch andere Nikotinprodukte („Alternativen“) ersetzt werden. Die Sucht soll in diesem Framing andauern, nicht enden.

Auch der Begriff „Ersatzprodukte“ wird häufig eingesetzt. Er erinnert an den Begriff der pharmazeutischen „Nikotinersatztherapie“, also von Nikotinpflastern, Nikotinsprays und anderen Pharmazeutika. Diese sind durch das Arzneimittelgesetz rechtlich geregelt und haben nach langjähriger, strenger, unabhängiger Überprüfung bewiesen, dass sie beim Ausschleichen der Sucht helfen. Dies gelingt unter anderem durch sehr langsame Anflutung des Nikotins.

Bei E-Zigaretten, Tabakerhitzern, Nikotinbeuteln und Snus ist das nicht der Fall. Sie fluten sehr schnell im Gehirn an. Sie machen süchtig oder halten Sucht aufrecht. Der Marketing-Begriff „Ersatzprodukte“ bringt sie dennoch gedanklich in Richtung möglicher therapeutischer Wirkung, ohne das jemals unabhängig nachgewiesen zu haben.

Bisher wurde für kein einziges von der Nikotinindustrie erzeugtes oder vertriebenes Produkt eine Zulassung als pharmazeutisches, geprüftes Nikotinersatztherapeutikum beantragt.

Teil des Marketings – auch an die Politik gerichtet

Die Sprache der Nikotinindustrie ist Teil ihres Marketings. Durch sanfte Begriffe, die nicht mehr an das Rauchen erinnern, vermeiden sie die Assoziation mit Krankheit und Sucht. Dies ist einerseits für die Kommunikation mit potenziellen Kundinnen und Kunden von Vorteil.

Andererseits ermöglicht die sprachliche Rahmung von der relativen Harmlosigkeit ihrer Produkte der Nikotinindustrie, sich gegenüber der Politik als Unternehmen darzustellen, denen die Gesundheit der Menschen vermeintlich wichtig ist. Sprache ist ein wichtiges Instrument, um gegenüber politischen Entscheidungsträger*innen ihre neuen Nikotinprodukte als im Gegensatz zu Zigaretten „ganz anders“ zu positionieren.

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